Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologe, Dipl. Biologe,
Asthmatrainer, Psychosomatik, Reisemedizin, Gelbfieberimpfstelle
Bismarckstr. 80,
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Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, 1. März 2002
Die Natur verfügt über eine große Auswahl an flüchtigen Pflanzenduftstoffen, den sogenannten ätherischen Ölen, die sich durch einen besonders intensiven und starken Geruch auszeichnen. In einem Kiefernwald etwa reichen geringste Mengen pro Kubikmeter Luft des ätherischen Terpentinöls aus, um den charakteristischen, würzigen Duft zu verbreiten. Kein Wunder also, dass der Mensch mit diesen Aromastoffen eine gesunde und heilende Wirkung assoziiert, aber nur selten ein Risiko. Denn obwohl die ätherischen Öle z.B. bei Erkältungen und grippalen Infekten als wohltuend und symptomlindernd empfunden werden, macht auch bei ihnen die Dosis das Gift. Das zeigen schwere Vergiftungsfälle bei Kindern, die immer wieder durch - zumeist falsch angewendete - ätherische Öle verursacht werden. Das BgVV appelliert deshalb dringend an Eltern, pflanzliche Duftstoffe bei Kindern mit großer Vorsicht und nur entsprechend ihrer Zweckbestimmung anzuwenden.
Ätherische Öle zeichnen sich besonders durch ihre toxischen Wirkungen auf das zentrale Nervensystem, die Nieren und die Atemwege aus. Hinsichtlich ihrer Wirkungsstärke auf den Menschen bestehen erhebliche Unterschiede. Sehr giftig sind z.B. Kampher, Eukalyptus- (Cineol) und Pfefferminzöl (Menthol). Etwas weniger giftig sind Terpentinöl, Orangen-/Zitronenschalen-, Teebaum- und Nelkenöl. Relativ ungefährlich sind kosmetische Produkte wie Parfüms, Cremes, Seifen usw., bei denen der Anteil an ätherischen Öle meist gering ist und im Hinblick auf Vergiftungen vernachlässigt werden kann.
Vorsicht ist dagegen geboten bei Produkten, die hohe Anteile an stark giftigen ätherischen Ölen enthalten. Dies sind z.B. Chinaöle, wärmende Einreibungen oder Balsame, durchblutungsfördernde Sportsalben, spezielle Badeöle oder Erkältungsbäder, Duftöle zur Raumluftverbesserung oder zur Aromatherapie und auch verschiedene Verdünner auf Citrusbasis, z.B. für Biolacke. Werden diese Produkte versehentlich eingenommen, kann es zu schweren Vergiftungen kommen. Bei Säuglingen und Kleinkindern können schon wenige, versehentlich in den Nasen-Rachenraum gelangte Tropfen der ätherischen Öle Verkrampfungen des Kehlkopfs auslösen und zu Atemstörungen führen. Die Erfahrungen aus den ärztlichen Mitteilungen bei Vergiftungen und den deutschen Giftinformationszentren zeigen erfreulicherweise, dass diese schweren Vergiftungen sehr selten sind.
In der überwiegenden Zahl der Fälle kommt es als Folge der unbeabsichtigten Aufnahme von ätherischen Ölen "nur" zu Haut- und Mundrötungen, Bauchschmerzen, evtl. auch Übelkeit und Erbrechen. Sehr selten gibt es kurzdauernde Symptome wie Müdigkeit, Unruhe, Zittern und Bewegungsstörungen. Unabhängig davon, ob es sich um leichte oder schwere Vergiftungen handelt, sollten alle Warnzeichen ernst genommen und ein Giftinformationszentrum konsultiert werden.
"Der Säugling hustete und schniefte zum Gotterbarmen. Gitte Federer* sah einen halben Tag besorgt
		mit an, wie sich ihre vier Wochen alte Tochter Silke quälte, dann holte sie das braune Fläschchen mit
		Pfefferminzöl aus dem Badezimmer. Ein Tropfen des natürlichen Hausmittels auf dem Kopfkissen, hatte
		sie in einem ihrer Gesundheitsratgeber gelesen, erleichtere kranken Kindern das Atmen.
		Die Mutter neigte das Fläschchen vorsichtig über das Kinderbett, doch es wollte sich kein Öl an der
		weißen Plastiktülle zeigen. Sie kippte das Gefäß tiefer und schüttelte es. Ein Tropfen löste sich und
		fiel dem Baby auf die Oberlippe. Fast sofort ging das Schniefen in ein hässliches Röcheln und Würgen
		über. Das Kind ruderte mit Armen und Beinen - ganz offensichtlich bekam es keine Luft mehr.
		Da die nächste Berliner Klinik nicht weit war, packte Gitte Federsen ihre Tochter, die blau anzulaufen
		begann, ins Auto und raste los. Als sie an der Pforte des Hospitals vorfuhr, machte die kleine Silke
		den ersten wieder fast normalen Atemzug. In der Notaufnahme färbte sie sich langsam wieder rosig.
		"Das ging haarscharf am Tod vorbei", sagt die Ärztin Gabriele Lübke vom Berliner Giftnotruf,
		der größten deutschen Giftzentrale, die jährlich in rund 50 000 akuten Vergiftungsfällen medizinischen
		Rat erteilt und auch bei der Erstversorgung des Säuglings mitgewirkt hatte. "Der pH-Wert im Blut
		des Kindes betrug nur 6,9. Das ist ein Wert, bei dem wir Ärzte die Ohren anlegen, weil er eigentlich
		mit dem Leben nicht mehr vereinbar ist" - totale Übersäuerung durch Atemnot.
		Das Schicksal des kleinen Mädchens ist offenbar kein Einzelfall. Allein der Giftnotruf in der Bundeshauptstadt
		hat jährlich mit rund 1000 Vergiftungen von Kleinkindern durch ätherische Öle zu tun - alte und vermeintlich
		harmlose Hausmittel wie japanisches Heilpflanzen-, Teebaum- oder Pfefferminzöl. Vergangene Woche warnte
		das Mediziner-Fachblatt "Ärztliche Praxis" vor dem unbedachten Umgang mit pflanzlichen Heilölen.
		Zu Recht: Pur aufgetragen, in Hautsalben und Cremes gemischt oder in fernöstliche Balsamzubereitungen
		gerührt, können sie Kinder in Lebensgefahr bringen.
		Und auch Erwachsene sind keineswegs immun gegen die harten Drogen aus dem Pflanzenreich. Laut einer
		Studie des Genfer Universitätshospitals lösten zu therapeutischen Zwecken aufgetragene oder eingenommene
		ätherische Öle bei zwei gesunden Erwachsenen und einem Kind epileptische Anfälle aus. Als besonders
		risikoreich, weil potenziell krampfauslösend, bezeichnet die Studie die Öle von Eukalyptus, Fenchel,
		Ysop, Poleiminze, Rosmarin, Salbei, Sadebaum, Rainfarn, Thuja, Terebinthe (Terpentinbaum) und Wermut.
		Ob und in welchen Fällen ätherische Öle - in den vergangenen Jahren besonders durch die Aromatherapie-Welle
		populär geworden - überhaupt zu empfehlen sind, ist fraglich. Britische Wissenschaftler haben beispielsweise
		ihre Anwendung als Massage-Mittel bei Kindern mit Ekzem-Erkrankungen überprüft. Acht Wochen lang erhielt
		eine Gruppe die Massage mit Öl, die andere ohne. Bei beiden Gruppen trat eine vergleichbare Besserung
		ein. "Bewiesen ist, dass der Berührungskontakt zwischen Mutter und Kind die Symptome des Exems
		bessert", urteilen die Mediziner, "doch es gibt keinen Beleg dafür, dass ätherische Öle das
		Behandlungsergebnis verbessern." Nach zwei weiteren achtwöchigen Behandlungsintervallen ging es
		den geölten Kids jedoch schlechter als ihren trocken massierten Altersgenossen. Die Forscher nehmen
		an, dass Kontaktallergien durch die Öle eingetreten waren.
		"Nur weil etwas natürlich ist, ist es noch lange nicht ungefährlich", sagt der Kinderarzt
		und Toxikologe Matthias Brockstedt, seit elf Jahren ärztlicher Leiter der Berliner Notrufzentrale. Wer
		glaube, "knallharte" Medikamente durch "sanfte" Öle ersetzen zu können, begehe einen
		schweren Fehler. "Viele ätherische Öle sind selber knallhart, und Naturstoffe wie Kampfer und Menthol
		sind potente Arzneimittel." Bei Säuglingen genüge oft schon ein Öltropfen auf Nase oder Lippen,
		um einen sogenannten Laryngospasmus auszulösen, einen Stimmritzenkrampf, bei dem der Kehlkopf reflexartig
		zuklappe und die Atmung unterbinde.
		Bei einem Großteil der Vergiftungsfälle handele es sich um die Folgen gut gemeinter Hilfsaktionen durch
		die Eltern, die glaubten, "natürlich" oder "rein pflanzlich" bedeute harmlos. Oft
		seien die Leute durch "Werbung und unseriöse Medienberichte verblödet". Nur so sei zu erklären,
		dass die ätherischen Öle hinter Shampoos und Parfüm mittlerweile auf Rang drei der Haushaltsprodukte
		rangierten, die die meisten Vergiftungen bei Kleinkindern verursachten. Brockstedt: "Noch 1990
		hatten wir keine einzige Vergiftung durch ätherische Öle." Bei den Ölen, die eines der zahllosen
		einschlägigen Ratgeber-Büchlein als "paradiesische Helfer" beweihräuchert, ist Naturreinheit
		selten und dazu nicht unbedingt gesundheitlich von Vorteil. Nach den Worten Brockstedts handelt es sich
		bei den angeblichen Schätzen der Natur häufig um "undurchsichtige Gemische aus voll synthetischen,
		halb-synthetischen und kaum natürlichen Ölen". Selbst wenn leidlich naturbelassen, seien die Essenzen
		vielfach nicht oder nur unzureichend toxikologisch untersucht. Zwar sammle man Hinweise über die akute
		Toxizität; "resorptive Vergiftungen" jedoch wie etwa Leber- und Nierenschäden durch langfristig
		über die Schleimhaut resorbierte ätherische Öle blieben "völlig unbeachtet".
		Was als ätherisches Öl verkauft wird, darf nach Angaben von Peter Vecker, Geschäftsführer des Hamburger
		Naturkosmetik-Handels Secret Emotions, "bis zu 20 Prozent Müll" enthalten, etwa Fremdfette
		oder andere Öle. Vecker, der etwa 150 "zu 100 Prozent naturreine Öle" vertreibt, rät eindringlich
		davon ab, diese Essenzen unverdünnt anzuwenden.
		Dass toxikologisch "entschärfte" - und damit wesentlich verträglichere - natürliche Blütenöle
		im Handel sind, von bundesdeutschen Großeinkäufern aber weitgehend ignoriert werden, belegt die Importstatistik
		des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden: So wurden im Jahr 2000 insgesamt 253,5 Tonnen Pfefferminzöl
		eingeführt, das sämtliche Terpene - giftige und zumeist allergene Verbindungen wie Kampfer, Menthol
		oder Pinen - enthielt. Von terpenfreiem Pfefferminzöl dagegen kamen nur 8,7 Tonnen ins Land.
		Minze und Muskatellersalbei, Thymian und Teebaumöl und die durch sie verursachten Vergiftungen sind
		nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Millionen Menschen halten Naturstoffe für harmlos, als
		hätten sie nie von Fingerhut, Knollenblätterpilz, Tollkirsche oder Herbstzeitlose gehört. Professor
		Edzard Ernst, Europas führender Alternativmedizin-Forscher, warnt vor der Natürlich-gleich-ungefährlich-Illusion:
		"Generelle Aussagen über pflanzliche Arzneimittel sind Nonsens, jedes Medikament muss einzeln auf
		seine Brauchbarkeit überprüft werden." Seit mehreren Jahren tut Ernst das mit seiner Arbeitsgruppe
		im englischen Exeter, und immer wieder wies er nach: Pflanzliche Arzneimittel können hoch effektiv und
		therapeutisch sinnvoll sein. Doch sie haben Wirkungen und Nebenwirkungen wie alle Medikamente und müssen
		genauso streng beurteilt werden wie jedes synthetische Arzneimittel auch. Ein Blick in die Fachliteratur
		zeigt, wie nötig das ist:
Der naive Glaube an die einzigartige und risikolose Heilkraft der "sanften" Naturmedizin wird
		von einer Industrie ausgenutzt, der es häufig mehr um Geld denn um Gesundheit geht. Weit klaffende Gesetzeslücken,
		undurchschaubares internationales Recht und die Anonymität des Cyberspace werden da skrupellos ausgenutzt.
		So kann sich der Fan natürlicher Arznei oft schon glücklich schätzen, wenn ihm sein Teebaumöl, das laut
		den einschlägigen Fibeln von Pickeln über Masern, Rheuma und Fußpilz knapp 40 Gebrechen vertreiben soll,
		nur nicht hilft. Denn es kann ihm auch passieren, dass sein Grüner Tee, sein Kava Kava, Kombucha oder
		gar die exotischen Algen ihn kränker machen, wenn nicht gar vergiften.
		Cyanobakterien der Art Aphanizomenon flos-aquae, so genannte Afa-"Algen" etwa sind einer der
		großen Renner auf dem amerikanischen Health-Food-Markt. Angeblich wirken sie gegen Haarausfall, Übergewicht,
		Depressionen, Diabetes, Neurodermitis, Kopfschmerzen sowie das Zappelphilipp-Syndrom bei Kindern. Die
		Gesundheitsbehörde FDA warnt jedoch vor keineswegs heilsamen Nebenwirkungen der so genannten Alge; es
		sei in über 60 Fällen zu Taubheit in Händen und Füßen, epileptischen Anfällen, Herzmuskelschwäche, Bauchspeicheldrüsenentzündung
		sowie Leber- und Blasenschmerzen gekommen. Kein Wunder, denn Cyanobakterien können starke Gifte produzieren,
		die Leber und Nerven schädigen können. Diese so genannten Microcystine wurden 1996 bei einer Untersuchung
		von Cyanobakterien aus dem Upper Klamath Lake im US-Bundesstaat Oregon in 85 von 87 Proben entdeckt.
		Fast 80 Prozent der Funde lagen im toxischen Bereich.
		Wie alles vermeintlich gute Grüne aus Amerika kamen auch die Wunderalgen nach Deutschland. Angelika
		Schmitz* aus Paderborn kaufte im vergangenen Sommer 500 "Algen"-Pillen für 170 Mark. Sie wollte
		ihren 13-jährigen Sohn von seiner Zappeligkeit und sich selbst von Kopfschmerzen befreien. Doch statt
		der ersehnten Heilwirkung sprossen in den Gesichtern der beiden dicke Eiterpickel. Hibbeligkeit und
		Kopfgrimmen blieben. Laut Roland Ziegler, Betreiber des Online-Lexikons Paramedizin und Autor eines
		Buches über Afa, gibt es "keine einzige seriöse Studie, die beweist, dass Afa-Algen bei Hyperaktivität
		einen therapeutischen Vorteil erbringen".
		Der Natur-Boom lässt in Reformhäusern, Naturkostläden, Obstessigfabriken, Algenfarmen, Ölmühlen und
		bei jeder Art von Zwischenhandel die Kassen klingeln. Als Arzneimittel wollen viele Hersteller ihre
		Produkte aus rechtlichen Gründen nicht auf den Markt bringen. So wird die Ware schlicht als Lebensmittel
		deklariert.
		Erstere unterliegen den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes. Ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit,
		ihre Risiken und Nebenwirkungen müssen vom Hersteller in Studien untersucht und in vorgeschriebener
		Weise dokumentiert werden. Dadurch werden sie nicht "absolut sicher" oder "frei von Nebenwirkungen"
		- doch ihr Nutzen und die Gefahren ihrer Anwendung können gegeneinander abgewogen werden. Die kontrollierte
		Prüfung garantiert Transparenz, und die ist nötig, um den Verbraucher schützen zu können. Eine ganze
		Reihe forschender pharmazeutischer Unternehmen leistet das auch: Mit ärztlichem Sachverstand eingesetzt,
		können etwa Ginkgo oder Johanniskraut synthetischen Arzneimitteln durchaus gleichwertig oder überlegen
		sein. Doch der Kreis der wissenschaftlich orientierten Produzenten ist klein.
		In einer Grauzone der Ungewissheit bewegen sich dagegen die Anwender von Mitteln, deren Herstellern
		die Medikamentenzulassung zu teuer ist oder die - oft zu Recht - fürchten müssen, einen Wirksamkeitsnachweis
		nicht führen zu können. Die Öle, Tinkturen und Pülverchen gehen als Lebensmittel oder Kosmetika über
		den Tresen.
		Da es verboten ist, Nahrungsmitteln bestimmte Heilwirkungen zuzuschreiben und damit Reklame zu machen,
		nutzen die Kraut-Krämer trickreich das "Buch zum Produkt" als Werbeträger und geschwätzigen
		Beipackzettel ohne Wahrhaftigkeitsgarantie. Wenn alsbald die Kräuter-Laster rollen, freut sich der Autoren-Lieferanten-Klüngel.
		Die Regale der Buchläden biegen sich unter der Last der mit Heilsversprechen vollgestopften Medizin-Leitfäden.
		Hier finden sich alleine 17 Postillen, die den Verkaufsknüller Teebaumöl als "grünes Gold Australiens",
		"Kleinste Hausapotheke" oder "Tausendsassa" anpreisen. Gesundheit, scheint es, ist
		das Hobby Nummer eins der Deutschen. Der Ratgeber-Umsatz liegt bei weit über einer halben Milliarde
		Euro.
		Wie der Selbstheilungskult funktioniert, wird an der Karriere des Holunders, eines genügsamen Gestrüpps
		mit dem botanischen Namen "Sambucus", deutlich. Blätter, Blüten oder Beeren, zu Tee gebrüht,
		Kompott geköchelt oder Saft gepresst, sollen so manche Beschwerden heilen. Helfen angeblich bei Akne
		und Asthma, Fußschwellungen und Frostbeulen, Grippe und Gürtelrose, Hämorriden und Halsentzündung, Schlafstörungen
		und Sonnenbrand. So jedenfalls steht's geschrieben. In Büchern mit Titeln wie "Heilsamer Holunder",
		oder "Gesund und schön mit Holunder". Da wird das Gewächs als wahres Wunderkraut dargestellt,
		das mit seiner gespeicherten Sonnenenergie "die Stimmung aufhellt" und mit der "Leichtigkeit
		seiner Blüten den Körper von Ballast" befreit. Sie leiden unter Mandelentzündung? Da hilft ein
		Gurgelwasser aus Blütenextrakt! Sodbrennen quält sie? Holunderbeerwein schafft Abhilfe. Geschwüre? Auch
		das ist ein Fall für Sambucus.
		Nach derselben Methode werden Ingwer, Honig, Ringelblume oder Lavendel, Algen oder Weizengras sowie
		diverse Tees und Öle als omnipotente Wunderhilfen gepriesen. Allumfassende medizinische Superkraft versteckt
		sich offenbar in allem, was am Wegrand wuchert. Die medizinische Wissenschaft lässt jedoch kaum ein
		gutes Haar am Holunder und vielen anderen in den Himmel gelobten Mitgewächsen. "Da ist viel Mist
		dabei", sagt Professor Malte Bühring vom Lehrstuhl für Naturheilkunde der Freien Universität Berlin.
		Beim Holundertee etwa, so wissen Forscher, verdanken Kranke die Linderung ihrer Beschwerden vor allem
		dem mit dem Tee in größeren Mengen heiß zugeführten Wasser.
		Das stört die Gläubigen wenig. Die Lust am Einnehmen grassiert, Hauptsache, Natur. Und wer nicht krank
		ist, der beugt eben vor und "stärkt sein Immunsystem", "entschlackt", "reinigt
		sein Blut" oder frönt ähnlichem Aktionismus. Die Behörden, die doch den Verbraucher schützen sollen,
		sind längst überfordert. Vor allem das Internet hat dem Do-it-yourself-Wahn um den eigenen Körper einen
		gigantischen Kick gegeben. Dort lassen sich verbotene Kräutlein, schwermetallverseuchte chinesische
		Wurzeln und allerlei Unfug propagieren und bequem vertreiben.
		"Mittel, die in der Bundesrepublik den Bestimmungen des geltenden Arzneimittelrechts teilweise
		nicht genügen, werden trotzdem über virtuelle Apotheken oder Drogerien im europäischen Ausland zum Kauf
		angeboten. Der Handel mit solchen Präparaten boomt und entzieht sich faktisch jeglicher Kontrolle",
		konstatiert Naturheil-Kritiker Ziegler. Mit seinem neuen Buch "Ajurveda & Co. Sanfte Killer
		aus Fernost" hat er eine exemplarische Fallstudie vorgelegt: Minutiös seziert er das populäre indische
		Medizinal-Theoriegebilde, innerhalb dessen nicht einmal Einigkeit darüber besteht, wie viele Knochen
		der Mensch hat oder der Überzeugung gehuldigt wird, der Körper sei voller Röhren, die paarweise Luft,
		Galle, Nasen-, Magen- und Lungenschleim sowie allerhand andere organische Säfte befördern.
		Ziegler zerlegt fachlich kompetent das als wundertätiges Ayurved-Medikament gepriesene pflanzliche Kombi-Präparat
		Liv.52. Fazit: Die für Laien undurchschaubare Mixtur aus acht verschiedenen Arzneistoffen ist von zweifelhafter
		Wirksamkeit und Sicherheit. Sie kann die Wirkung von Antibiotika vermindern und erhöht bei Leberkranken
		das Sterberisiko.
		Ein solches Schicksal trifft längst nicht mehr nur die menschlichen Gesundheitssucher. Auch vierbeinige
		Hausgenossen fallen natürlichen Heilversuchen zum Opfer. Weil Teebaumöl, das "grüne Gold",
		auch gegen Flöhe wirken soll, tupfen naturbewusste Katzenfreunde ihren schnurrenden Lieblingen ein paar
		Tropfen der Essenz ins Fell. Doch das Naturprodukt, beim Putzen aus dem Pelz geleckt, bringt den Leberstoffwechsel
		der Haustiger durcheinander. Die Folgen sind Taumeln, Zittern, chronische Abmagerung, Schwäche, Depressionen,
		Koma und - sofern unbehandelt - Tod."
